Work Life Balance – Wollen Sie mich sofort verjagen?

Allein das Wort Work Life Balance löst bei mir nervöse Zuckungen aus. Soll ich die Menschen bewundern oder bedauern, die zwischen ihrem beruflichen und privaten Leben einen solchen Unterschied machen?

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Anfangs dachte ich, diese Menschen haben nur einen Job.

Laut Wikipedia ist ein Job eine temporäre, eher kurzfristige Tätigkeit, ohne besonderen Qualifikationsnachweis oder eine Gelegenheitstätigkeit von Personen zwecks Einkommenserzielung. Den Gegensatz zum Job bildet der Beruf und die Berufung (Amt). Etwas weiter unten finde ich dann noch das „… Anders als beim Beruf wird beim Job eine innere Verantwortung oder eine Identifikation mit der Tätigkeit nicht vorausgesetzt. Deshalb ist tendenziell die Arbeitsmotivation bei Ausübung eines Jobs geringer als im Beruf. … Der Job ist also eher eine kurzfristige, zufällige oder wechselnde Erwerbsarbeit.“

Das nenne ich mal ein Hoch auf die denglische Sprache. Und wer fällt mir da spontan ein? Richtig: Hilmar Kopper, der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, der im März 2007 in der Süddeutschen Zeitung wie folgt zitiert wurde: „… jeder muss im job permanently seine intangible assets mit high risk neu relaunchen und seine skills so posten, dass die benefits alle ratings sprengen, damit der cash-flow stimmt. Wichtig ist corporate-identity, die mit perfect customizing und eye-catchern jedes Jahr geupdatet wird!“

Ich schweife ab … zurück zu dieser Work Life Balance.

Leben Sie Ihre Berufung?

Wie ist das bei Ihnen? Leben Sie Ihre Berufung? Leben Sie darin all das aus, was Sie ausmacht? Haben Sie in Bezug auf Ihre Berufung eine Antwort auf die Frage: „Warum stehe ich dafür jeden Morgen mit Freude auf?“ Wissen Sie, wofür Sie das tun? Kennen Sie also Ihr ganz persönliches Werte-System und passt das auch mit dem Ihres Unternehmens zusammen?

„Oh, jetzt sind wir schon beim Thema Unternehmenskultur. Ich dachte es geht um Work Life Balance?“, ruft die Stimme aus dem Off.

Ich brauche keinen Fernseher

Diese Work Life Balance geht mir so etwas von auf die Schnur. Ja, ich liebe das, was ich tue und ich springe dafür regelrecht jeden Morgen aus den Federn. So ging es mir auch, als ich noch in der Hotellerie lebte. Mein Zuhause war stets in den Hotels oder auf dem Gelände des Hotel-Ensembles. Ja, ich brauchte das, denn es machte mich einfach glücklich, wenn ich bei der morgendlichen Jogging-Runde den Mitarbeitenden bei der Vorbereitung des Frühstücks ein fröhliches Hallo zurufen konnte und wir einen kurzen „Klönschnack“ hielten und ich dem Nachtportier einen geruhsamen Schlaf wünschen durfte, weil der gerade seinen Heimweg antrat. Oder auch am Abend, wenn es nach einem lebendigen Tag so langsam wieder ruhig wird und ich beim Techniker vorbeischaue, der gerade noch die letzten Kabel wegräumt.

Jetzt rufen manche von Ihnen vielleicht: Ja, aber das können Sie doch nicht machen! Das geht doch nicht. Ja, vielleicht haben Sie recht. Abgerechnet wird zum Schluss.

Doch vielleicht werden Sie auch, wenn Sie den Abend mit Fernsehen verbracht haben, festgestellt haben, dass die wenigsten Tatortfolgen wirklich großartig sind.

Da gibt es auch welche, bei denen ich schon nach Minute 5 weiß, wer der Mörder ist und die brauchen dafür knapp zwei Stunden. Und dann sage ich mir am Ende dieses Films: „Zwei Stunden meines Lebens!“ Können Sie sich vorstellen, wie sehr ich mich geärgert habe?

Wissen Sie, wenn ich in dieser Zeit meinen Mitarbeitenden zugehört hätte, wäre die Befriedigung eine ganz andere gewesen.

Ich brauche nicht den Fernseher, um runterzukommen. Ich kann auch mit dem Koch zusammensitzen, was trinken und gleichzeitig ein gutes Werk tun, weil ich hinhöre, was er mir zu erzählen hat.

Eine Bekannte von mir: Tolle Frau. Sie bekommt ein Angebot in einer international tätigen Event-Agentur. Richtig gutes sechsstelliges Einstiegsgehalt mit Option auf mehr. Da lernt sie die ganze Welt kennen, denn die legen jetzt wieder los und jetten durch die Weltgeschichte. Doch was macht sie? Sie fängt jetzt als Dozentin an einer Fachhochschule an. Da bekommt sie nur einen Bruchteil an Gehalt und sie ist jeden Abend zu Hause. Ist das jetzt besser oder schlechter? Das ist weder besser noch schlechter. Das ist einfach anders und macht meine Bekannte rundum glücklich.

Und bitte, damit wir uns richtig verstehen: Ich schätze Dozenten sehr und verneige mich mit tiefer Hochachtung vor Jeder und Jedem einzelnen – ein jedes Mal neu, wenn ich mich aufmache, zu einer meiner Gast-Dozentschaften!

Warum Sie wissen sollten wen Sie wie führen

Meine Empfehlung: Denken Sie bitte daran, dass wir Menschen unterschiedlich sind und dass es nicht nur in Extremsituationen Leben retten kann, darüber Bescheid zu wissen, sondern dass es auch im alltäglichen Tun für alle Seiten gewinnbringend ist, wenn wir das respektieren und damit wahrnehmen und gemeinsam leben.

Kümmern Sie sich bitte um Ihre Bedürfnisse und die Ihrer Leute. Es geht immerhin um die inneren Antreiber und wir tun gut daran, diese zu kennen und zu leben. Schauen Sie bitte hin, was Ihnen wertvoll ist. Kennen Sie bitte Ihre Werte und auch die Ihrer Mitarbeitenden. Wir wissen heute, dass es nicht mehr den einen Führungsstil gibt. Dafür ist die Komplexität der Anforderungen viel zu hoch. Umso wichtiger ist, dass Sie für eine erfolgreiche Zusammenarbeit wissen, warum sie wen wie führen sollten.

Und wenn Sie da jemanden haben, der oder die ebenso tickt wie ich, den oder die Sie mit dieser Work Life Balance davonjagen, weil die Person Ihr „Life“ in „Work“ findet, dann bitte, lassen Sie das diesem Menschen! Wir – und ja, ich weiß, dass ich damit nicht allein bin; so etwas wagt heute ja nur kaum noch jemand laut zu sagen – die so sind, wir dürfen viel arbeiten! Ja, wir haben auf uns aufzupassen, damit wir nicht ausbrennen. Einverstanden. Mehr noch: Recht haben Sie! Doch Arbeit macht mich glücklich, das bereitet mir Freude, das ist meine Leidenschaft, das ist mein Leben!