Wie ist es besser: Von vorne oder von hinten?

Bevor sich jetzt irgendwelche Gedanken verirren, die hier nichts zu suchen haben, nehme ich die Antwort vorweg: von hinten. Und schiebe gleich die Erklärung hinterher. Wenn um 20:45 Uhr der Hauptgang für 85 Personen serviert werden soll, in dem Spargel und Rinderfilet mit handgeschlagener Hollandaise vorgesehen sind und um 22:00 Uhr das Dessert mit einer Variation von Beeren an hausgemachtem Vanilleeis geplant ist, gilt es von da an rückwärts zu planen.

Wenn der Spargel nicht rechtzeitig geschält ist, die Beeren geputzt und die Vanille aus der Schote geschabt ist, ist Hochalarm vorprogrammiert. Vom Aufschlagen der Hollandaise will ich hier jetzt gar nicht erst anfangen, denn stimmt da die Temperatur für das glückliche Eigelb nicht genau oder wird das Fett zu schnell dazugegeben, war es das …

Höchstleistung, Konzentration und Empathie sind gefragt

Einfach weil es sich die wenigsten vorstellen können: Es ist eine Meisterleistung, wenn ein Küchenteam für 85 Personen Rinderfilet zuzubereiten hat: Von Bleu, über Rare und Medium bis Well Done sind alle Garstufen dabei und jedes einzelne dieser Fleischstücke gilt es à point auf den Teller und dann an den Gast zu bringen.

Ich, die außer Käse formvollendet aus der Verpackung auf eine Platte bringen und gegebenenfalls noch ein paar Weintrauben gewaschen dazu legen kann und damit die mehrfach bestätigte Vollkatastrophe in der operativen Küche bin, verneige mich hier in gar besonderer Weise vor den Menschen vor und hinter dem Küchenpass. Denn die Teller in Perfektion an den Gast zu bringen und das bitte ohne die alle beschämende Frage am Tisch: „Für wen ist denn hier die Schuhsohle?“, um herauszubekommen, wer das durchgebratene Filet bestellt hat, ist und bleibt eine Höchstleistung an Konzentration und Empathie für das Team. Empathie? Was hat die denn jetzt hier auch noch zu suchen? Ein solches Bankett schicken, bedeutet für alle Stress und ja, bei manchen Menschen setzt dann der Neocortex auf die Weise aus, dass auch das einfache Zählen bis drei durcheinanderkommen kann. Weise ist die Person, die auch das bei der Zusammenstellung des „Food Runner Teams“ berücksichtigt.

Zurück zu der Gesellschaft: Immerhin hat das Hochzeitspaar nur dieses eine Hochzeitsfest – zumindest im besten Fall, auch wenn der Trend der Zweithochzeit gegeben ist – und da bitte schön gilt es, auf die Minute genau zu planen. Die verpatzte Präsentation, der vergessenen Ausdruck, der Versprecher im Vortrag, ja sogar eine aus der Erwartung fallende Konferenz – das alles lässt sich ausgleichen und korrigieren. Ein Anlass, wie eine Hochzeit, nicht. Und auch das Rinderfilet nicht, welches nur eine einzige Minute zu lang in der heißen Pfanne liegt.

Menschen aus der Hotellerie und insbesondere Gastronomie sind es gewohnt rückwärts zu planen und stellen danach auch gerne den Wecker.

Warum scheitern so viele Veränderungsvorhaben?

Denken Sie vom Ziel aus. Ob es der Moment der Fusion ist, die Übergabe des Unternehmens von der dritten an die vierte Generation, ein Workshop, bei dem die neue Strategie vorgestellt werden soll oder ein Projekt. Ich habe keine Zahl dazu gefunden, wie viele Unternehmen sich gerade in einem Veränderungsprozess befinden, geschätzt wie gefühlt sind es sehr, sehr viele. Und dazu dann das: Gut 70 Prozent aller Change-Vorhaben scheitern – eine andere Studie drückte es aus mit „nur jedes fünfte hat Erfolg“. Richtig, der Grund hierfür liegt meist darin, dass die Mitarbeitenden nicht ernst genommen werden, die am Ende die Veränderung umsetzen und leben sollen. Doch auch das könnte anders sein, wenn vom Ende her gedacht würde, denn wer sich in die Situation hineindenkt und -fühlt, was dann ist, kommt nicht umhin, auch an und über die eigenen Leute nachzudenken.

Weitere Gründe sind undefinierte Zuständigkeiten, schlichtweg fehlende Koordination und damit ausbleibende Kooperation und all das bei schier abenteuerlicher Zeitplanung. Ich begleite gerade ein Unternehmen, bei dem auch das der Fall ist. Sie wollen einem guten Küchenteam oder auch einem versierten Gastgeber mal über die Schulter schauen oder sich mit diesen austauschen? Lassen Sie es mich wissen und ich bringe Sie zusammen. Die Hotellerie und Gastronomie leben von der Begegnung mit Menschen und glauben Sie mir: Von der Branche lässt sich so irre viel lernen und auf andere übertragen.

Alles eine Frage der Vorbereitung

Meine Damen, wir wissen, wann wir den Nagellack aufzutragen haben, damit er ausreichend Zeit zum Trocknen hat und Sie, meine Herren, wissen erhofft, dass Sie bei einem Tag mit Abendtermin morgens besser zu einem weißen Hemd greifen, statt zu dem in Blau. Zumindest dann, wenn Sie kein Bartträger sind, einen guten Bartwuchs haben, keine Zeit für eine Zweitrasur und Wert darauf legen, dass Sie auch am Abend noch (fast) wie frisch rasiert wirken.

Es wird Herbst: Ich lade Sie ein, ab heute ein Vorhaben so zu planen, als wäre es eine Kürbissuppe – die essen Sie doch auch lieber heiß und gut gewürzt als kalt und geschmacklos. Wann wollen Sie an dem gemütlichen Herbstabend mit Ihren Freunden essen? Und nun die einzelnen Arbeitsschritte zuverlässig rückwärts denken. Sie wollen sich doch vor Ihren Gästen nicht blamieren, oder? Und was Sie am Herd hinbekommen, nehmen Sie einfach als Strategie mal mit ins Büro. Vorausdenkend planen hat im Übrigen noch einen Mehrwert: Sie sind auch für den Notfall gewappnet. Alle Leute in der Küche wissen was zu tun ist, wenn es am Pass heißt: „Zwei Vegetarier an Tisch 2.“