Polarisieren Sie mich nicht!

Nächster Punkt auf der Agenda: Betriebsurlaub. Fühlen Sie, wie dieses kleine Wort polarisiert? Eine hitzige Debatte darüber ist fast schon obligatorisch. Pro-und-Kontra-Lager formieren sich. Die einen fühlen sich übervorteilt, die anderen in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt. Kinderlose klagen über die teuren Preise, wenn sie gezwungen sind, in der Ferienzeit Urlaub zu nehmen, Eltern beschweren sich, dass es unmöglich sei, eine Kinderbetreuung außerhalb der Ferien zu bekommen. Doch wenn alle planen könnten, wie sie wollten, würde das auch wieder polarisieren, denn wer möchte schon im kalten Januar oder Februar in den Urlaub, wenn es auch im Sommer ginge. Da wäre ein Betriebsurlaub im August doch eigentlich zum Vorteil aller Mitarbeitenden – wenn er nur nicht so polarisieren würde … Sie sehen, schon ein Wort allein genügt, um das Blut ordentlich in Wallung zu bringen.

Denken wir an Polarisieren, taucht automatisch ein negativer Kontext vor unserem inneren Auge auf. Trennung, Zerstörung, Vertrauensverlust – all das geistert durch den Kopf. Und bei manchen Aktionen, die gerade stattfinden, wird diese Seite der Polarisierungs-Medaille mit stolz geschwellter Brust getragen. Der soziale Zusammenhalt wird geopfert, nur damit sich weiter polarisieren, ja sogar provozieren oder im Extremfall radikalisieren lässt. Ist also tatsächlich nichts Gutes daran, zu polarisieren?

 

Es wirkt – oft mehr als wir denken

Wie die andere Seite der Medaille aussieht? Nun, Polarisieren bedeutet auch, dass ein Mensch Stellung bezieht und eine klare Haltung zu gewissen Themen vertritt. Das wirkt! Es regt zum Nachdenken an, bringt in Bewegung, sorgt für Veränderung. Ein einziger Moment mag ausreichen, um im Leben eines anderen etwas Bedeutsames in Gang zu bringen. Ein Wort oder ein Gedanke schafft, je nachdem wen es betrifft, Klarheit, bringt Dinge schneller voran und lässt Diskussionen entstehen – denken Sie das nächste Mal an diese Worte, wenn ein Klimakleber Ihnen wieder einmal die Fahrbahn versperrt oder im Unternehmen das Wort „Betriebsurlaub“ fällt.  

 

Wer polarisiert, bietet Angriffsfläche

Es gibt somit die positive und negative Seite des Polarisierens. Zwischen beiden ist ein schmaler Rand – in diesem Fall der reine Selbstzweck. Wer nur polarisiert, um zu polarisieren, könnte sich genauso gut in den Regen stellen, um sauber zu werden. Wer jedoch verstanden hat, dass es beim Polarisieren darum geht, die eigene Haltung klar und mutig nach außen zu bringen und für die eigenen Überzeugungen einzutreten, hat das Konzept erfasst. Wird dies getan, öffnet sich zwangsläufig eine Angriffsfläche.

Nehmen wir zum Beispiel Wolfgang Grupp, der bis Ende 2023 Chef von Trigema war. Mit seinen Aussagen, die in meinen Augen oft den Kern der Wahrheit treffen, stand er häufig in der Kritik. Von zu hart und zu direkt war hier die Rede. Insbesondere Führungspersönlichkeiten, die in der Öffentlichkeit stehen und sich offen, direkt und unverfälscht äußern, offenbaren, welche Werte sie vertreten und was ihre persönliche Meinung ist. Dieses Verhalten ist eine herzliche Einladung für alle Kritiker. Wer das nicht aushält, sollte weiterhin beim netten Lächeln und Nicken bleiben. Im Bewusstsein so zwar nicht angreifbar zu sein, doch im Gegenzug, mit dieser Haltung etwa so viel zu bewegen, wie ein Toast, der auch nicht mehr als den Sprung aus dem Toaster schafft. Daneben gibt es auch Führungskräfte (Ja, da sind sie wieder: Die Führungskräfte, die es hoffentlich irgendwann merken und sich zu Führungspersönlichkeiten entwickeln …), die sich einen Schutzschild aus Polarisierungen basteln und diesen benutzen, um ihr Nichtwissen zu verbergen. Bevor sie sich einem Angriff oder kritischen Nachfragen zu stellen haben, setzen sie ihren Schild ein und polarisieren vorsichtshalber, damit ihnen niemand auf die Schliche kommt. Sehr gerne können diese Menschen das Schild neben den Toast legen, denn es hat in etwa den gleichen Wert. Also bitte polarisieren Sie nur, wenn Sie voll und ganz von einer Sache überzeugt und bereit sind, dafür einzustehen. Und wenn auf Ihrem Schild das steht, was darauf gehört: die Quintessenz Ihrer Werte. Die sollten Sie bitte kennen, um noch klarer und effizienter zu formulieren.

 

Polarisieren nur Persönlichkeiten?

Gerne lassen sich Menschen von Aussagen polarisieren, nur weil sie vom falschen Absender kommen. Die Formel lautet: Wenn der falsche Mensch etwas Richtiges sagt, dann ist das Gesagte wertlos. Oft zu beobachten in Unternehmen. Bringt die allseits beliebte, meist zurückhaltende und eher unauffällige Führungsperson etwas zur Sprache, wird es herzlich aufgenommen, wenngleich auch gerne schnell wieder vergessen. Kommen die Worte von einer Person, die schon allein durch ihr Auftreten eine gewisse Wirkung hat und mit ihrer Präsenz das komplette Unternehmen allein erobern könnte, polarisiert es. Da spielt dann auch Inhalt keine große Rolle mehr. Überlegen Sie an dieser Stelle einmal, wie das Wort „Betriebsurlaub“ auf Sie wirkt, wenn es von unterschiedlichen Personen in verschiedener Art und Weise vorgebracht wird.

 

Bitte nicht polarisieren, wenn …

Sie sehen, polarisieren mit nachhaltiger Wirkung ist eine Kunst für sich. Also lassen Sie bitte die Finger davon, wenn Sie es zum reinen Selbstzweck verlogen oder nutzen wollen, um Öl ins Feuer zu gießen. Wenn Sie hingegen in guter Absicht handeln, einen Türöffner und am Ende ein Maximum an Wirksamkeit erzielen wollen – gepaart mit einer klaren dienenden Haltung gegenüber Ihrem Unternehmen und anderen Menschen – dann dürfen Sie gerne auch mich polarisieren.