Ein Hoch auf die, die denken, um zu reden

„Ich kann sie nicht mehr ertragen. Sie macht kaum Umsatz, aber eine Klappe bis zum Anschlag. Immer das Meiste, immer das Größte, flattert ins Büro mit den Worten, dass sie gerade aus Paris zurückkommt. Interessiert keine Sau. Die soll einfach Umsatz machen.“ So Katharina, mit der entsprechend aufbrausenden Emotion in der Stimme, über den Auftritt von Anna. Den ersten Schuss aus diesem verbalen Revolver hatte Martina abgefeuert. Auf der Frequenz des Flurfunks. „Katharina Büro 47 von Martina Teeküche 1, bitte kommen.“

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 Ja, es war Mittwoch, der Bürotag für alle. Endlich mal wieder vis-à-vis über die anderen herziehen. Martina war aufgeheizt durch eine Äußerung von Robert am Vortag, der mit ihr in einem Video-Call über ein geplantes Projekt gesprochen hat, zu dem alle etwas beizutragen haben und es sich deutlich abzeichnet, dass Anna weit hinter der Erwartung zurückliegt. Richtig: Es hatten sich alle gerade erst gesehen. Und ja, es hätte die Möglichkeit gegeben, das direkt anzusprechen. (Hätte, hätte …  Wer hat das mit dem Konjunktiv eigentlich erfunden?) Kurzum: Die Gerichte aus der Lästerküche schmecken immer noch, denen hat der Einzug des Videochatfunks keinen Abbruch getan.

Es kommt doch alles raus

Unweigerlich denke ich an manches Erlebnis mit Prominenten, mit Stars und Sternchen und insbesondere denen aus der Glanz- und Glamour-Welt, bei denen das Management über diese Menschen meinte mehr zu wissen, als diese Persönlichkeiten selbst über sich wussten. Manchmal war das leider wirklich so, doch das lag dann an anderen Substanzen … Auch da kursierten Gerüchte, bei denen ich nicht nur einmal kopfschüttelnd dastand, wenn sich zwischen Promi und Management die Tür geschlossen hatte und die P-Person den offiziellen Mantel einfach mal für ein paar Stunden ablegte. Kinders bedenkt doch bitte: Es kommt am Ende alles irgendwie doch raus.

Wie wäre ein neues Bild für die Teeküche?

Zurück in die Teeküche, zu Katharina und Martina. Keine von den beiden und auch sonst keine und auch keiner aus dem Team hat Anna darauf angesprochen und einfach mal nachgefragt: „Hey du, was ist los? Du machst dir schöne Tage in Paris und hängst mit deiner Arbeit total hinterher.“ Oder auch „Worin kann ich dich oder können wir dich konkret unterstützen, dass du wieder mehr den Fokus auf deine Arbeit legst?“ Doch solche Gedanken sind so weit weg, wie die Teeküche in Hamburg von Paris, wenn nicht sogar noch weiter.

Und wenn schon das nicht, wie wäre es dann mit T.H.I.N.K.? Ein Akronym, welches sich mit der Frage „Wie stehe ich denn vor mir selbst da?“ beschäftigt.

 

T               Is it true? Ist es Fakt, eine Meinung oder ein Gefühl?

H               Is it helpful? Hilft es mir, der anderen Person oder der Situation?

 I               Is it inspiring? Verbessert es irgendetwas?

N               Is it necessary? Wäre es besser, es ungesagt zu lassen?

K               Is it kind? Was ist die Motivation für diese Kommunikation?

 

Das Akronym wurde kreiert, um Menschen zu unterstützen, sich im sozialen Netz höflicher und damit erst einmal sachlicher auszudrücken und die Hetzerei zu unterlassen.

Wie wäre es, mal ein Bild mit diesem T.H.I.N.K. in der Teeküche aufzuhängen und als Teil der Unternehmenskultur zu implementieren: „Wir reden miteinander, nicht übereinander!“?

Was ist, wenn …?

Wenn das hier passiert wäre, dann wäre eher zu Tage gekommen, dass Anna ein Mensch ist, der Angst vor dem Scheitern hat. Der Angst davor hat, sich zu blamieren, falls sie es nicht schafft. „Ich kann kein Tischtennis spielen. Bevor ich mich öffentlich an einem Tisch blamiere, spiele ich erst gar nicht.“ Sie hatte sich die letzten zwei Jahre zurückgezogen. Ihr Mann war schwer erkrankt und sie pflegte ihn bis zu seinem Tod. Während dieser schweren Zeit verlor sie auch noch die Eltern. Erst die Mutter und fünf Monate später den Vater. Drei Menschen, mit denen sie sehr eng verbunden war, hatte sie in noch nicht einmal einem Jahr verloren. All das war jetzt gerade ein Jahr her und immer ist sie noch dabei, ihren eigenen Lebensrhythmus wiederzufinden. Und bevor sie sich jetzt vor dem Team blamiert, greift sie gar nicht erst richtig an in dem, was sie beruflich tun sollte. Und wieso dann die Geschichte von Paris? Sie sucht Anerkennung. Aufmerksamkeit. Will gesehen werden.

Es darf gelacht werden

Es lohnt sich hinzuschauen, wahrzunehmen, ehrliches Interesse zu haben. Wir Menschen sind Unikate – ein spannendes Abenteuer ein jedes einzelne davon im Team kennenzulernen. Spannender als jeder Flurfunk. Und ja, am Ende darf auch bitte gelacht werden und meist passiert das wunderbarer Weise auch, wenn erst einmal klar ist „Ach, ich wusste gar nicht, dass dir das wichtig ist.“ – das ist dann wie ein Befreiungsschlag. Und wie viel schöner ist es, von Herzen gemeinsam zu lachen, sich dabei näher zu kommen, statt aus Schadenfreude über andere zu gackern.

Gelacht wurde am Ende auch hier. Bei einem Funkspruch, der im März 2005 von den spanischen Militärbehörden offiziell veröffentlicht wurde und der sodann in allen spanischen Zeitungen zu finden war und über den sich ganz Spanien köstlich amüsierte. Real oder nicht? Wer weiß das schon … Entstanden am 16. Oktober 1997, so die Übermittlung. Ein Funkspruch von der Frequenz des spanischen maritimen Notrufs, Canal 106, an der galizischen Küste „Costa de Fisterra“

Spanier: „Hier spricht A853 zu Ihnen, bitte ändern Sie Ihren Kurs um 15 Grad nach Süden, um eine Kollision zu vermeiden ... Sie fahren direkt auf uns zu, Entfernung 25 nautische Meilen ...“

Amerikaner: „Wir raten Ihnen, Ihren Kurs um 15 Grad nach Norden zu ändern, um eine Kollision zu vermeiden.“

Spanier: „Negative Antwort. Wir wiederholen: ändern Sie Ihren Kurs um 15 Grad nach Süden, um eine Kollision zu vermeiden.“

Amerikaner (eine andere amerikanische Stimme): „Hier spricht der Kapitän eines Schiffes der Marine der Vereinigten Staaten von Amerika zu Ihnen. Wir beharren darauf: ändern Sie sofort Ihren Kurs um 15 Grad nach Norden, um eine Kollision zu vermeiden.“

Spanier: „Dies sehen wir weder als machbar noch erforderlich an, wir empfehlen Ihnen, Ihren Kurs um 15 Grad nach Süden zu ändern, um eine Kollision zu vermeiden.“

Amerikaner: (stark erregter, befehlerischer Ton) „Hier spricht der Kapitän Richard James Howard, Kommandant des Flugzeugträgers ‚USS Lincoln‘ von der Marine der Vereinigten Statten von Amerika, das zweitgrößte Kriegsschiff der nordamerikanischen Flotte. Uns geleiten zwei Panzerkreuzer, sechs Zerstörer, fünf Kreuzschiffe, vier U-Boote und mehrere Schiffe, die uns jederzeit unterstützen können. Wir sind in Kursrichtung persischer Golf, um dort ein Militärmanöver vorzubereiten und im Hinblick auf eine Offensive des Irak auch durchzuführen. Ich rate Ihnen nicht –

ich befehle Ihnen, Ihren Kurs um 15 Grad nach Norden zu ändern! Sollten Sie sich nicht daran halten, so sehen wir uns gezwungen Schritte einzuleiten, die notwendig sind um die Sicherheit dieses Flugzeugträgers und auch die dieser militärischen Streitmacht zu garantieren. Sie sind Mitglied eines alliierten Staates, Mitglied der NATO und somit dieser militärischen Streitmacht. Bitte gehorchen Sie unverzüglich und gehen Sie uns aus dem Weg!“

Spanier: „Hier spricht Juan Manuel Salas Alcántara. Wir sind zwei Personen. Uns geleiten unser Hund, unser Essen, zwei Bier und ein Mann von den Kanaren, der gerade schläft. Wir haben die Unterstützung der Sender Cadena Dial von la Coruna und Kanal 106 als maritimer Notruf. Wir fahren nirgendwo hin, da wir mit Ihnen vom Festland aus reden. Wir befinden uns im Leuchtturm A-853 Fisterra an der Küste von Galizien. Wir haben eine Scheißahnung welche Stelle wir im Ranking der spanischen Leuchttürme einnehmen. Und Sie können die Schritte einleiten, die Sie für notwendig halten und auf die Sie geil sind, um die Sicherheit Ihres Scheiß-Flugzeugträgers zu garantieren, zumal er gleich gegen die Küstenfelsen Galiziens zerschellen wird, und aus diesem Grund müssen wir darauf beharren und möchten es Ihnen nochmals ans Herz legen, dass es das Beste, das Gesündeste und das Klügste für Sie und Ihre Leute ist, Ihren Kurs um 15 Grad nach Süden zu ändern, um eine Kollision zu vermeiden.“

Danach brach die Funkverbindung ab.

Wie gut, dass das bei Martina, Katharina und Anna nicht so war. Robert hat irgendwann davon Wind bekommen, hat ein Krisen-Meeting einberufen und heute hängt tatsächlich in der Teeküche das Schild „Wir reden miteinander, nicht übereinander!“