Ein Fingerzeig ist nicht der Daumen nach oben

Wie lassen sich nicht schön mit unseren Fingern nonverbale Signale ausdrücken. Während der Daumen nach oben noch wünschenswert ist, sieht es beim Zeigefinger ganz anders aus. Gern wird dieser auf andere gerichtet, um von sich selbst abzulenken. Schließlich liegen die Fehler bei den Mitarbeitenden, den Kolleginnen und Kollegen oder der Kundschaft – doch bloß nicht bei uns selbst. Als verlängerte Zeigefinger dienen heute E-Mails, WhatsApp-Nachrichten oder Meetings. Statt sich an das Sprichwort: „Wenn jeder vor seiner eigenen Tür kehrt, wäre die Welt ein sauberer Ort“ zu halten, werden die anderen auf ihren „Dreck“ hingewiesen. Da frage ich mich, wo denn die Eigenverantwortung geblieben ist.

Stellen Sie sich vor, Ihr Unternehmen gleicht einer Gartenparty. Als Gastgebender liegt es in Ihrer Verantwortung dafür zu sorgen, dass alles vorhanden ist. Sie bereiten Tische und Stühle vor, stellen den Grill an und legen das Geschirr bereit. Alles, damit sich die Gäste – in diesem Fall Mitarbeitende – wohlfühlen. Nun bringt jeder Ihrer Gäste etwas mit. Konrad den Kartoffelsalat, Melissa das Brot, Paul die Würstchen usw. Das sind die individuellen Fähigkeiten, mit denen alle gemeinsam zum Erfolg der Gartenparty bzw. des Unternehmens beitragen. Konrad allerdings hatte zuhause Stress: Die Ehefrau liegt mit Fieber im Bett, die Kinder mussten zu Oma und Opa gefahren werden, das Haus versinkt im Chaos. Und da ist ihm glatt das Salz ausgerutscht, das seinem sonst so delikaten Salat die Note vom zu verliebten Koch einbrachte. Jetzt stellt sich die Frage, wie Konrad wohl reagiert.

Bei den anderen ist doch noch schlimmer

Grundsätzlich hat Konrad jetzt drei Möglichkeiten zu agieren, die sehr deutlich zeigen, wie es um seine Eigenverantwortung und die Fehlerkultur im Unternehmen steht. Erstens könnte er versuchen, heimlich seinen Fehler zu vertuschen. Wird er darauf angesprochen, dass sein Salat doch ungenießbar sei und weggeworfen gehört, könnte er sich einen großen Bissen einverleiben und so tun, als sei nichts. Nun, dieser Weg ist so ziemlich sinnlos und würde nur zu einer erhöhten Getränkenachfrage führen. Er könnte allerdings auch mit dem Finger auf Melissa zeigen und über ihr trockenes Brot klagen und Bernd am Grill verurteilen, dass sein Würstchen etwas zu durch ist. Und dann holt er auch noch Carla mit ins Boot und überzeugt sie, sich seiner Meinung anzuschließen – alles, um von seinem eigenen Fauxpas abzulenken oder diesen im Vergleich zu den anderen als weniger schlimm darzustellen. Im Ergebnis sind alle unzufrieden, es entstehen hitzige Diskussionen, ja gar ein Konflikt bahnt sich an. Diese Art mit Fehlern umzugehen, erlebe ich sehr oft in Unternehmen. Wird da ein Fehler gemacht, schnellt sogleich der Zeigefinger in die Höhe und wird auf die anderen gerichtet. „Bei denen ist es doch noch schlimmer“, heißt es zur eigenen Verteidigung. Das zeugt von einer Fehlerkultur, wie sie heute für kein Unternehmen mehr tragbar ist. Doch es gibt noch eine dritte Möglichkeit, die wir uns jetzt genauer anschauen.

Szenario 1: So soll es sein

Wenn die Führungspersönlichkeit bei der Gartenparty alles richtig gemacht hat, fühlen sich die Gäste willkommen und wissen, dass ihre Anwesenheit geschätzt wird. Es herrscht eine offene Kommunikation, Themen dürfen auch mal intensiv diskutiert werden, um zu einer guten Lösung zu kommen. In angenehmer Atmosphäre fühlt sich jeder dazu ermutigt, Ideen und Vorschläge einzubringen. Und da ergreift Konrad das Wort: „Bevor ihr euch an den Kartoffelsalat macht, möchte ich euch wissen lassen, dass dieser versalzen ist. Ja, es ist mein Fehler, dass er mir nicht so gelungen ist wie sonst, allerdings waren die Umstände auch andere. Das nächste Mal wird er wieder besser, versprochen.“ Auf einer Gartenparty kann es zu kleinen Pannen kommen, doch das bedeutet nicht das Ende der Welt. Alle nehmen es zur Kenntnis und sie wissen auch, dass Konrad sonst einen auszeichneten Kartoffelsalat mitbringt. Doch so ist nun einmal: Wir alle sind Menschen und niemand ist frei von Fehlern.

Szenario 2: So ist es leider oft

So einfach, wie im ersten Szenario beschrieben, ist es in vielen Unternehmen leider nicht. Da gibt es noch die Führungskräfte (ja, hier walten wirklich Kräfte …), die mit der Uhr am Gartenzaun stehen und überwachen, ob auch jeder pünktlich kommt – und wehe einer ist drei Minuten zu spät. Es wird hektisch herumgelaufen, kontrolliert, ob alle ihre Aufgaben erledigen, und braucht jemand zu lange oder wagt es gar, etwas anders zu machen als vorgeschrieben, wenngleich es effizienter ist, hagelt es Kritik. Sitzen alle gemeinsam am Tisch, bleibt es still. Kommt doch eine Idee heraus, wird diese sofort im Keim erstickt und zunichtegemacht. Jetzt bloß keinen Fehler machen, nicht zu laut mit der Gabel über den Teller fahren, ja kein Glas umschütten. Inständig hofft Konrad, der Hund würde den Kartoffelsalat fressen, dass ja nicht ans Licht kommt, wie es um diesen steht. Bevor er am Ende allein mit seinem Fehler dasteht, packt er den Finger aus und weist auf die anderen hin. Wie bitte soll in einer solchen Umgebung Eigenverantwortung möglich sein?

Mit Eigenverantwortung zur erfolgreichen Party

Die Gartenparty neigt sich dem Ende. Der Gastgebende respektive die Führungspersönlichkeit bedankt sich bei allen für ihren Einsatz und gibt Feedback, an welchen Stellen etwas schon nahezu perfekt gelaufen ist und wo es noch ein bisschen besser geht. Konrad wird dafür gelobt, dass er Verantwortung übernommen und seinen Fehler offen zugegeben hat. Sicher ist, dass dies keine Auswirkungen auf das Vertrauen in seine Fähigkeiten hat, sondern sogar noch ein Stück zu einer Kultur der Eigenverantwortung beitrug. Auf diesem Fundament verwandelt sich schließlich auch der zuckende Zeigefinger in einen Daumen nach oben.

Weitere Anregungen und Impulse für Führungspersönlichkeiten gibt es auch in meinem Buch „Fakten brauchen Hirn: 5 Sterne für Leader.“ Lesen Sie gerne rein.