Bleiben oder die Tür hinter sich schließen?

Kündigste oder bleibste? Die Antwort kennen Sie vermutlich. Und das, ohne dass Sie dabei waren. Allein diese drei Wörter lassen uns vermuten, wie die Antwort ist. Und ja, die Antwort war: Ich kündige. Das Fatale: Die junge Frau wäre geblieben. Sie hatte sich so viele Gedanken gemacht, Gespräche geführt – zwischen dem ersten Impuls: „Ich gehe“ und der terminierten Unterhaltung dazu. Doch dann kam diese Frage und im Bruchteil einer Sekunde änderte sie ihre Antwort.

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Sommer 2022. Der Chef des Unternehmens entscheidet, dass er den Pachtvertrag Ende des Jahres auslaufen lässt. Die Tatsache, dass dieses Unternehmen nicht nur irgendein Unternehmen ist, sondern in den letzten 25 Jahren in vielen Punkten Innovationen angestoßen und damit rundum für die Menschen vor Ort, in der Region und der gesamten Branche Gutes getan hat, lässt erahnen, welcher Aufschrei kam, dass das doch nicht sein dürfe. Der Unternehmer, ein wirklich „pfiffiges Kerlchen“, ist keiner, der einfach so aufgibt. Der hat immer eine Idee im Kopf und ist zudem mit jeder Menge Umsetzungsstärke ausgestattet. Das der Versuch der flächendeckenden Beruhigung der Kundschaft. Bestens aufbereitet durch versierte Menschen im Bereich PR und Marketing.

Fühlt sich an wie Schlussmachen per WhatsApp

Und die Mitarbeitenden? Die haben davon am Sonntagnachmittag im Gießkannenprinzip via WhatsApp erfahren. „Hey Leute. Ich schließe das Unternehmen Ende des Jahres. Dafür kommt an anderer Stelle etwas Neues und außerdem haben wir ja noch drei weitere Unternehmen. Da findet sich was für jeden von Euch.“

Blöd für die Mitarbeitenden, die nicht in der WhatsApp Gruppe sind und davon dann eben durch die perfekte Inszenierung der PR-Abteilung erfahren haben. Bitte … Inszenierungen gehören ins Theater, in die Fernsehwelt und auf die Leinwand oder die Bühne im Opernhaus. Doch Finger weg davon im Business. Inszenierung ist Vertrauenskiller Nummer 1.

Was heißt hier „an anderer Stelle“? Wo? Was genau? Passt das überhaupt zu mir? Will ich das? Kann ich das leisten? Merken Sie was? Da wird mal ganz schnell eine große Ladung Angst über die eigenen Leute geschüttet.

Was passiert, wenn wir Angst haben? Ja, ich weiß. Von Angst reden wir nicht gerne. Die gibt es nicht. Die haben wir nicht. Und im Management schon gar nicht. Die Zeit des Säbelzahntigers ist schließlich vorbei und auch hinter der Restauranttür wird sich kein Bösewicht versteckt haben, sodass die einladende Geschäftsfrau auch gerne vorangehen und dem Herrn die Tür aufhalten darf. So weit gut so gut und ja, die Menschen gehen unterschiedlich mit dem Chaos, in dem wir alle gerade stecken, um. Manche bleiben in ihrer Handlungsfähigkeit, in ihrer Wirksamkeit, weil sie bei sich bleiben, Halt und Orientierung haben, ein Geländer, an dem sie sich festhalten. Manche Menschen haben das nicht und wie wäre es jetzt mit etwas Empathie?

Ich weiß nur eines: weg hier

Eines bleibt: Wir alle verfallen in dem ersten Moment einer aufrüttelnden Nachricht in die archaischen Muster. Von Schockstarre (Tot stellen), sich direkt aufmachen und der Veränderung stellen (Angriff) bis hin zu Aufgeben (Flucht) ist alles dabei.

Unternehmer und Mitarbeitende – beide erhielten auf ihre Weise eine erschreckende Nachricht.

Der Unternehmer geht auf Angriff – wenn nicht mehr hier, dann wo anders. Direkt die Fühler ausgestreckt, Gespräche geführt, die Veränderung in Bewegung gebracht. Schade nur, dass er das im Ego-Trip macht. Ego ist wichtig! Ego sichert das eigene Überleben, doch als Leader habe ich Verantwortung für meine Leute und da gilt es, den Schirm der Gedanken etwas weiter aufzumachen.

Die Mitarbeiterin ergreift die Flucht. Nur noch weg. Egal. Ich habe noch nichts anderes. Weiß auch gerade gar nicht wohin. Ich weiß nur eines: weg hier.

Durch drei Worte: Kündigste oder bleibste?

Legen wir die Fakten auf den Tisch. Dass der Pachtvertrag ausläuft, ist eine unternehmerische Entscheidung und die gilt es zu treffen. Punkt. Das ist der Impuls, der das Hirn jetzt in Bewegung setzt. Und manchmal ist es einfach so, dass das eigene Hirn nicht ausreicht, um klar zu sehen, was diese Entscheidung für ein Ausmaß hat. Nicht nur für mich und mein Ego. Sondern für die Menschen, für die ich als Unternehmer Verantwortung übernommen habe.

Als diese WhatsApp im Sommer 2022 die Runde gemacht hatte, haben alle Mitarbeitenden reagiert. Manche warteten einfach ab (Schockstarre), manche kümmerten sich direkt, fragten nach, wollten erfahren, was da geplant ist, wägten für sich ab und entschieden (Angriff) und manche ließen es eine Weile laufen und verschwanden dann (Flucht). So kündigte ein Mitarbeiter des engsten Führungsteams vier Wochen nach der Nachricht an, dass die Option nichts für ihn sei, er habe sich umgeschaut und wird das Unternehmen Mitte November verlassen. Der zweite aus dem engen Führungsteam bediente sich seiner Interpretation der Art der Kommunikation seines Chefs: Der fuhr in den Urlaub und kündigte von dort. Übrig blieb die junge Frau. Plötzlich war ihr klar: Ich bin ab Mitte November allein. Das Jahresendgeschäft. Alle wollen noch Mal kommen. Hilfe! Das schaffe ich nicht! Doch diesen Hilfeschrei, den hat keiner wahrgenommen. Es gibt die Menschen, die damit in ihrem eigenen Hamsterrad herumrennen, die darüber nicht reden.

Kommunikation lebt durch Worte

Da war Franz. Der ahnte da etwas. Er war nur sporadisch in dem Unternehmen. Ein Mensch mit großer Empathie und so sprach er die junge Frau an. Sie fasste Mut und erzählte ihm von ihrer Angst und dass es im Sinne des Unternehmens eine Lösung geben müsse. Die beiden erarbeiteten eine Idee, wie es gehen könnte. Ein Gespräch mit dem Chef wurde terminiert. Sie hatte es sich überlegt, sie würde bleiben und gemeinsam mit dem Chef am letzten Tag die Tür von außen abschließen.

Der Tag des Gesprächs kam. Der Moment der Wahrheit. „Kündigste oder bleibste?“

„Ich kündige.“

Was Worte alles verursachen können, würde jetzt den Rahmen sprengen. Bitte nehmen Sie die Abkürzung und schauen Sie sich ihn an: Den von mir sehr geschätzten René Borbonus, der dazu ein großartiges Gedicht geschrieben hat: https://www.youtube.com/watch?v=PAc8x1m5Cps

Kommunikation lebt auch und insbesondere von Worten. Das wichtigste für diese Worte: Das wirkliche Hineinfühlen und Hineindenken in mein Gegenüber. Empathie.

Viele Führungspersönlichkeiten in Spitzenpositionen erleben häufig Extreme und persönliche wie unternehmerische Ausnahmesituationen. Gerade jetzt gilt es, Verantwortung zu übernehmen. Für sich. Die Mitarbeitenden. Das Unternehmen. Wie das gelingt, lesen Sie auch in meinem neuen Buch „Fakten brauchen Hirn: 5 Sterne für Leader.“