Bergsteiger oder Spaziergänger?

Immer wieder geschieht es, dass Menschen Führungsverantwortung übertragen wird, die noch nicht einmal in der Lage sind, sich selbst zu führen. Die Anforderung an die Eigenschaften einer Führungspersönlichkeit erfordert eine Schule der Selbsterkenntnis und insbesondere die Bereitschaft, an sich selbst zu arbeiten. Wer nicht bereit ist, diese zu durchlaufen … doch wer ja dazu sagt, Führungsverantwortung übernehmen zu wollen: Bitte schön. Werden Sie sich bewusst über Ihr Selbst. Sie können alles machen, was Sie wollen, doch bitte gehen Sie anderen Menschen damit nicht auf die Nerven. Und ja, wer Führungsverantwortung übernimmt, kann schlimmstenfalls zu einer echten Herausforderung für die Mitarbeitenden werden. Das muss nicht sein!

Wie erfolgreich Führung von Menschen ist, hängt an der Klarheit des Bildes, des Erlebnisses, das da wartet. Und bitte: Ich spreche hier jetzt nicht von einer nicht enden wollenden Jagd nach Incentives. Ist das eine erreicht, ist da schon das nächste und das Gefolge rennt wieder um die Wette. Ja, es ist erwiesen, dass unser Gehirn aktiver und dynamischer mit einem klaren Bild vor Augen arbeitet. Verlieren wir das Ziel, das Bild dazu, verlieren wir meist den Sinn.

Lustiger Käfer oder Gipfelkreuz?

An dieser Stelle möchte ich gerne Jürgen Kurz, Geschäftsführer der tempus GmbH, zitieren, der sagte: „Gebirgswandernde haben den Gipfel vor Augen und suchen den optimalen Weg dahin. Bei Problemen – etwa einem verschütteten Weg – prüfen sie automatisch die Alternativen, ohne dabei den Gipfel aus den Augen zu verlieren. Menschen, die einen Spaziergang machen, gehen oft ohne Ziel des Weges, machen einen Schlenker nach links oder nach rechts, sehen sich ein paar Blumen oder einen lustigen Käfer an. Am Ende des Tages sagen die Bergwandernden: ‚Ich habe das Matterhorn erklommen.‘ Spaziergänger sagen: ‚Ich bin spazieren gegangen.‘ Das ist der Unterschied.

Spazierengehen kann eine wundervolle Aktivität zur Erholung sein. Doch wenn die ‚Spaziergänger-Mentalität‘ eine ganze Organisation, ein ganzes Leben durchdringt, dann wird dies nicht viel erreichen. Unternehmen leben von der ‚Bergsteiger-Mentalität‘. Klare Ziele, die uns am Laufen halten und die uns Orientierung geben, wenn es zu Störungen und Planabweichungen kommt. So funktioniert unser Gehirn. Und deshalb sind Ziele das Erfolgsinstrument schlechthin.“

Und wem an dieser Stelle das Wort „Ziel“ zu sperrig ist, darf dies auch gerne durch „Sinn“ ersetzen. Ohne Sinn geht heute gar nichts mehr. Wir leben in einer Zeit, in der uns gerade die heranwachsende Generation daran erinnert, wie wertvoll eine Sinnhaftigkeit hinter all unserem Tun und Handeln steht. Und wenn wir den Sinn weiterdenken, wird daraus gerne auch ein Ziel. Nehmen Sie sich einfach das, was am besten zu Ihnen passt.

Doch zurück zu denen, die auf den Berg steigen …

Um Bergsteiger zu sein, braucht es Erfahrung. Eben noch Spaziergänger und dann rauf auf den Mount Everest? Das wird höchstwahrscheinlich schief gehen – kurzum: Lassen Sie das bitte! Ihr Leben ist wertvoll! Das gilt im Übrigen auch für Sie, meine Damen, und überhaupt für all jene, die das hier lesen.

Führung gelebt oder von Emotionen verleitet?

Und das, was da am Berg nicht so einfach mal geht, gilt auch für das Thema Führung. Auch wenn wir heute immer wieder in Situationen gebracht werden, in denen wir davorstehen und sagen: „Und jetzt?“ Nehmen wir diese Pandemie – die wenigsten waren geübt im Führen auf Distanz. Alle nur noch online treffen. Ja, das war neu, doch wenn wir ehrlich sind: Wer das richtig gut im „offline“ beherrschte, hatte einen mega Vorsprung. Trotz allem Neuen konnte da auf „generelle“ Führungserfahrung zurückgegriffen werden. Zumindest die Menschen, die Führung gelebt haben, denn nur das, was wir selbst erlebt haben, erfassen wir mit all unseren Sinnen.

Genau deshalb wird das, was wir gerade erleben, eine richtig herausfordernde Geschichte: Das hybride Führen. Denn wie schnell sind uns die viel näher, die vor uns sitzen, als jene, die wir am Bildschirm sehen und schnell wieder vergessen, sobald die Online-Zeit vorbei ist …

Einen reifen Charakter, eine gewisse innere Ruhe, Gelassenheit und insbesondere das mit sich selbst einig sein wird in der Ausstrahlung als Führungspersönlichkeit erwartet. Das bedeutet, sich nicht von Emotionen verleiten zu lassen, sondern den Anforderungen gerecht zu werden und damit die sachliche Beurteilung in den Vordergrund zu stellen. Wichtig: Emotionen dürfen sein und machen uns menschlich, doch sie dürfen uns eben nicht verleiten.

Kurzum: die Führungspersönlichkeit hat mit der Führungsaufgabe zu dienen und damit erhält die Eigenschaft der Bescheidenheit eine eigene Bedeutung. Einer meiner Lehrherren nannte es sogar „Demut“.

Als Führungspersönlichkeit habe ich über eine gute Selbstkenntnis zu verfügen und damit den Mut zu haben, eben auch um den eigenen Schatten zu wissen und menschlich zu mir selbst zu sein.

Wer das schafft, dem ist die Tür zur Menschenkenntnis quasi bereits geöffnet und wir können den uns anvertrauten Menschen so begegnen, wie es zu der jeweils individuellen Persönlichkeit passt.

Im eigenen Haus die Hosen an?

Ja, auch ich lernte das kennen: den eigenen „Hausbesetzern“ und damit der Leidenschaft und den Emotionen ausgeliefert zu sein, sowie von denen hin- und hergerissen zu werden. Eines ist dabei immer wieder deutlich: Jede Klarheit ist weg und weder ich noch jedwede andere Führungspersönlichkeit ist noch Dame oder Herr im eigenen Haus. Allzu oft ist dies der Auslöser dafür, dass andere Menschen meist eher angetrieben und gehetzt, statt geführt werden.

Damit wünsche ich jeder Führungspersönlichkeit das Wissen darum, auch in herausfordernden Situationen, sich selbst innere Ruhe abverlangen zu können, denn nur dann kann eine Atmosphäre der Konzentration erzeugt werden, in der sich die Mitarbeitenden wohlfühlen und sich mit Freude ihrer Arbeit widmen. Für das gemeinsame Erreichen des Gipfelkreuzes …